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Im Heimatland des Kohls: Dithmarschen lädt zu vielfältigen Kohlgenüssen ein

Anschnittshof Dithmarscher Kohltage (c) Dithmarschen Tourismus e.V. - Merle Fromberg

Anschnittshof Dithmarscher Kohltage (c) Dithmarschen Tourismus e.V. – Merle Fromberg

„Aus Kohl kann man eine Menge machen“, sagt Kai Voss vom „Restaurant V“ in Meldorf nicht nur, er verspricht es vielmehr: „Wir denken uns neue Kohlgerichte zusammen im Team aus und haben Lust, Neues zu entdecken.“ Damit haben die Fachleute fürs gehobene Genießen schon in den vergangenen Jahren kulinarisch-köstlich überrascht. Gespannte Erwartung also im Schatten des Meldorfer Doms. Kohl gehört zu Dithmarschen wie kein zweites Gemüse, wie kaum ein zweites Gericht. Und kreative Köche können mehr draus machen als Kohlroulade & Co. Wenngleich dieser Klassiker „…absolute Handwerkskunst ist und unbedingt dazu gehört. Die Kohlroulade gehört zu meinen Lieblingsgerichten in der Kohlzeit – und wenn die nicht auf der Karte steht, werden wir gelyncht.“ Sagt Voss und lacht. In Meldorf wird niemand gelyncht, sondern aufs Feinste verköstigt.

Kai Voss erzählt noch ein wenig und verrät nicht, was das Küchenteam, Küchenchef Tom Köther, Sous-Chef Friedrich Werner und Azubi Leon Pohl, zubereitet. Erhöht die Spannung, die Vorfreude. Vor dreizehn Jahren kam der Restaurantfachmann Voss aus Berlin zurück in seine Heimatstadt Meldorf und eröffnete mit dem „Restaurant V“ – einer Brasserie, einem Restaurant – ein feines Kleinod: „Die Brasserie steht für Kleinigkeiten in lockerer Atmosphäre, das Restaurant für den gehobenen Genuss“, sagt Voss. Heller Holzfußboden, hohe Decken, licht und locker, eine ansprechende und appetitanregende Atmosphäre.

Ein Understatement und mit den klassisch, liebevoll gedeckten und dekorierten Tischen ein klares Bekenntnis zu gehobener Esskultur und mit der Karte eben auch zu Dithmarschen. Modern, ohne die Wurzeln zu verlieren. „Klassiker können auch in neuen Varianten kommen, nur das Rad müssen wir nicht jedes Jahr neu erfinden“, meint Kai Voss, der noch immer nicht verraten hat, was auf den Tisch kommen wird. Man muss das können und nicht vergessen, woher man kommt und wo man isst. „Kohl ist vielfältig“, sagt Voss – und Kohl wird oft in der asiatischen Küche verwendet; „…im vergangenen Jahr haben wir auch Kohl-Sushi serviert.“

Das sind solche neuen Ideen. Und nun, endlich, stehen die Kohl-Varianten 2017 auf dem Tisch: Ein DimSum – das Kohlblatt, knackig blanchiert, gefüllt mit angeschwitztem Kohl und Zwiebeln, mit Tomate und Kümmel, dazu einen Happen gegrillter Kabeljau, Oliven-Tapenade. Der Hauptgang ein Kohl-Kokos-Gemüse mit Schweinefilet, ummantelt von Bärlauch und Schinken. Eine kulinarische Reise mit dem Kohl im Schatten des Meldorfer Doms; stimmig, gelungen, köstlich – das „Restaurant V“ ist nicht nur zu den Kohltagen einen Besuch wert. Eine Überraschung im Herzen Dithmarschens.

In Dithmarschen liegt das größte geschlossene Kohlanbaugebiet Europas – und auf dem Weg zum Hof von Bauer Piening sehen wir: keinen Kohl! Längst müssten sich hier die Köpfe aus dem fetten Marschboden recken, gesetzt wird spätestens im Mai, geerntet schon ab Juni. Raps, Grünland, Getreide bis zum Horizont aber vom Kohl (noch) keine Spur. Auf dem Hof von Niels Piening, einem Familienbetrieb seit 1783, soll die Reise zum Kohl beginnen. Wo, Herr Piening, ist all der Rotkohl, Weißkohl, Grünkohl, der Rosen – und der Blumenkohl?

„In Dithmarschen eigentlich überall – nur nie an derselben Stelle. Wir bauen in Felderwirtschaft an, der Kohl wächst immer woanders“, erklärt Niels Piening auf dem Weg in die Kühlhalle, über den Hof weht der Wind einzelne Kohlblätter, tatsächlich ist Kohl in Dithmarschen beinahe überall. „Pro Jahr ernten wir Kohlbauern gute 80 Millionen Köpfe – das ist für jeden Bundesbürger knapp einer“, sagt Piening und öffnet das Tor. „Hier drinnen lagert bei Temperaturen knapp über den Gefrierpunkt noch ein Teil der Ernte aus dem vergangenen Jahr“, ruft er gegen den Lärm der Schneidemaschinen, „…und seit Mitte Juni verarbeiten wir auch schon die neue Ernte.“ Der Weißkohl wird geschnitten und landet im Feinkostsalat – „kein Grillabend ohne uns!“ sagt der Dithmarscher Bauer, vermutlich nur halb im Scherz.

Kaum eine Gegend in Deutschland eignet sich für den Anbau so gut wie diese. Piening schneidet einen Kopf an, reicht ein Stück; es schmeckt frisch und köstlich, ähnlich jungen Erbsen aus der Schote. Warum eignet sich gerade Dithmarschen so gut für den Anbau von Kohl? „Die wichtigsten Gründe sind Boden und Klima“, erklärt der Landwirt, „der Marschboden hat einen hervorragenden Nährstoffhaushalt – und er hält die Feuchtigkeit; das, zum Beispiel, lässt den Kohl gut und gleichmäßig wachsen. Das ausgewogene Klima mit vorherrschenden kühlenden Winden aus West – es ist nicht zu kalt und kaum zu warm – lässt ganz einfach gesundes Gemüse wachsen.“

Pflanzenschutzmittel müsse er von daher nur wenig einsetzen, die Natur an der Küste sorge fast von selbst für die Gesundheit seiner Pflanzen, auch von daher habe er sich für Kohl entscheiden „…ich möchte einfach gute Nahrungsmittel anbauen!“ Auch wenn hier tonnenweise Kohl umgeschlagen wird – es geschieht Kopf für Kopf und Hand in Hand. „Kohl wird nicht geworfen, dabei kann er viel zu schnell verletzt werden“, meint Niels Piening bevor der Weißkohl zerschnitten wird. Kohl, das sagen viele Leute, die mit ihm zu tun haben, „… muss man behandeln wie ein rohes Ei!“

Zwischen Wesselburen und der Nordsee liegt irgendwo im Nirgendwo der Biohofladen von Wiebke und Jan Schütt. Diese weltverlorene Gegend ist typisches Dithmarschen: Hier ein Bauernhof, dort ein Bauernhof, Straße in die Unendlichkeit, vom ewigen Wind verbogene Bäume, Schafe dazwischen. Bauernland am nahen Meer. Die frische Brise von der Küste streicht über das weite, leere Land; das mag der Kohl – und wer Kohl mag, kann welchen kaufen kommen – je nach Saison liegt alles in den Kisten, was der Dithmarscher Marschboden an Kohl hergibt – in Bio-Qualität. Im Hofladen liegen zudem Mangold, Fenchel und – auch das haben sie hier hochgezogen – Artischocken. Wiebke Schütt zeigt das Gewächshaus hinter dem Laden, hier duftet es aromatisch nach Tomaten und sie reicht welche zum Naschen, die kleinen Früchte schmecken köstlich.

Das Gemüse ist gewiss nur ein Einkauf für die Ferienwohnung oder für Zuhause, „… aber auch Radfahrer können sich gut verpflegen“, sagt Wiebke Schütt – wohl wahr: Brot und Bier, Käse und Wurst und dann geht die Reise weiter durch Dithmarschen, wo jetzt überall der Kohl geerntet wird. Übrigens, Frau Schütt, wie essen Sie den denn am liebsten? „Als Kohlpudding mit ordentlich Hack“, sagt sie. Bodenständig sind die Dithmarscher geblieben und Gutes bleibt.

Traditionelle Gerichte gibt es zum Beispiel in der Ulmenklause in Wesselburen; neben Sauerfleisch und Mehlbeutel gibt es natürlich Kohlgerichte. Und zwar die Klassiker. Wer bei all den Geschichten rund um den Kohl Appetit auf eine Kohlroulade bekommen hat, ist hier richtig. Die Ulmenklause, ein altehrwürdiges Gasthaus, wurde vor zwei Jahren frisch und renoviert wiedereröffnet; freundlich, hell und klar, mit nordischem Ambiente – ebenso wie die Karte modernisiert aber nie die Wurzeln vergessen.

Beim Krautseminar von Hubert Nickels im „KOHLosseum“ in Wesselburen kann man lernen, wie es geht mit dem Kohl. Das große Gebäude aus Backstein war bis 1995 eine Sauerkrautfabrik, bis zur Schließung hat Hubert Nickels dort gearbeitet. Heute ist es eines der wohl außergewöhnlichsten Museen Deutschlands – mit dem Möglichen und Unmöglichen, was man aus Kohl machen kann. Der Bauernmarkt hält von Shampoo bis zum Schnaps alles bereit und die Ausstellung erzählt die Geschichte von Kohl in Dithmarschen.

Man kann Sauerkraut aus Kohl machen, das lernen die Leute in der Krautwerkstatt, und wenn man die Geschichte vom Sauerkraut überspitzt zu Ende denkt, dann könnte man sagen: Australien wurde erst entdeckt, als in Dithmarschen das Sauerkraut erfunden war. Denn: „Kohl hat mindestens so viel Vitamin C wie eine Zitrone“, sagt Hubert Nickels, „erst als Fässer mit Sauerkraut an Bord waren, konnten sich die Seeleute vor dem gefürchteten Skorbut, er entsteht durch Vitaminmangel, schützen und so monate-, jahrelange Fahrten unternehmen. James Cook nahm Sauerkraut auf seinen Entdeckungsfahrten in den Pazifik mit.“ Wenn sich jemand mit Sauerkraut auskennt, dann ist es Hubert Nickels. „Sauerkraut darf man nicht zu Tode kochen“, erklärt er den Gästen, „dann verliert es die Vitalstoffe und Vitamine. Frisch schmeckt es sowieso am besten.“ Und Kohl ist gesund. „Es regt den Stoffwechsel an und entschlackt“, sagt er und zeigt den Leuten, wie das geht mit dem Sauerkraut: grüne Blätter weg und Strunk raus, Kraut hobeln, in den – mit kochendem Wasser gesäuberten! – Steintopf füllen und etwas Salz dazu, quetschen und stampfen bis sich Saft bildet, dann gären lassen mit Steinen obendrauf.

Nickels hat auch etwas erfunden; wenn schon nicht das Sauerkraut selbst, dann doch zumindest einen kleinen Bio-Reaktor für Zuhause. Hubert Nickels ist Krautmeister und Lebensmitteltechniker, sein ganzes Berufsleben hat er mit Kohl und Sauerkraut verbracht „…und monatelang habe ich hier mit herumgetüftelt!“ 1998 war das Produkt fertig und ein bisschen stolz ist er noch immer. Es ist ein Glas mit einem Deckel drauf und Sauerkraut darin. „Das Besondere ist der Verschluss, den ich entwickelt habe “, erklärt Nickels, „an der Unterseite befindet sich eine Art Gummischaum – so kann das bei der Gärung entstehende Gas entweichen, jedoch keine Luft eindringen und das Sauerkraut verderben. Meine Idee war, dass das Kraut sich im Glas selbst konserviert und lange frisch und haltbar bleibt.“ Pro Jahr verlassen rund 100.000 Gläser Wesselburen „Ich hatte schon Hilferufe – die Leute wollten neues Sauerkraut, und es durfte nur unser gutes aus Dithmarschen sein“.

Weitere Informationen

Vom 19. bis 24. September 2017 werden in Dithmarschen die 31. Dithmarscher Kohltage gefeiert. Sechs Tage lang dreht sich dann in Deutschlands größtem Kohlanbaugebiet, wo jährlich 80 Millionen Kohlköpfe geerntet werden, alles um die leckeren Vitaminbomben. Was für köstliche Kreationen und raffinierte Kombinationen die einheimischen Köche aus dem lange unterschätzten Gemüse zubereiten, können die Besucher auf den Dithmarscher Kohltagen probieren.
www.dithmarscher-kohltage.de

Im KOHLosseum in Wesselburen erfahren Besucher alles rund um den Kohl. Eine einmalige Ausstellung über die Anpflanzung und Verarbeitung von Kohl sowie die Herstellung von Sauerkraut wird im historischen Gebäude der ehemaligen Sauerkrautfabrik gezeigt.
Bahnhofstraße 20, 25764 Wesselburen
info@kohlosseum.de, www.kohlosseum.de

Quelle: Nordsee Tourismus Service


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Auf Entdeckungsreise entlang des Nord-Ostsee-Kanals

Von Kreuzfahrtschiffen, Naturerlebnissen und unseren Vorfahren

Unterwegs am Nord-Ostsee-Kanal. Bild (c) Dithmarschen Tourismus

Unterwegs am Nord-Ostsee-Kanal. Bild (c) Dithmarschen Tourismus

Alle warten, keines kommt. Jetzt grad nicht. Wo bleibt das Traumschiff? Gespannte Erwartung bei Kanalkilometer Null, Schleuse Brunsbüttel, und sieben Uhr ist durch. Nur das Kreuzfahrtschiff nicht, das ist (noch) nicht durch. Dabei sollte es jetzt einfahren von der Elbe in den Nord-Ostsee-Kanal.

Schiffegucken ist der schönste Zeitvertreib in Brunsbüttel, und der Zettel mit den gemeldeten Traumschiff-Passagen – das mit Abstand beliebteste Stück Papier vom nahen Tourismus-Büro – hatte sie doch angekündigt; die „Saga Sapphire“, unterwegs von Dover nach Dänemark. Durch die meistbefahrenste künstliche Wasserstraße der Welt. Luxusliner sind recht selten, aber schön, spektakulär und damit Höhepunkt; „normale“ Schiffe sind allemal spannend und immer einen kleinen Stopp wert. Zum Schauen. Zum Staunen.

Der Nord-Ostsee-Kanal, mit fast hundert Kilometern Länge zwischen Elbe und Kiel und mit mehr als 30.000 Schiffspassagen pro Jahr (das ist viel, viel mehr als im Suez- oder Panama-Kanal), ist eine Sehenswürdigkeit. Der (hauptsächlich) am Ufer entlangführende Radweg ein tolles Stück Fahrrad-Tour. Von Brunsbüttel bis zum Gieselau-Kanal (der Verbindung zum Fluss Eider) sind es schöne und spannende 40 Kilometer Dithmarschen. Mit Schiffen, Störchen und schönem Schlafen am Kanal. Und wer weiß, vielleicht kann man unterwegs ja mal mit einem Traumschiff um die Wette fahren. Oder mit einem U-Boot, denn die sind hier ab und zu auch unterwegs.

Kanalkilometer Null also; dort, wo in den gewaltigen Schleusenbecken Tanker und Frachter gehoben und gesenkt werden, kann der Reisende dem Schauspiel zusehen. Von der Aussichtsplattform wirken die Festmacher, die Leute mit den Tauen, unten auf dem Kai winzig im Vergleich zu den Schiffen, die zumeist unter Flaggen sehr fremder Länder fahren – Liberia, Zypern, Panama. Für manch einen Seemann mag dies hier der letzte Hafen vor New York sein, andere Matrosen freuen sich vielleicht auf die baldige Ankunft in Skandinavien oder St. Petersburg. Der Radfahrer träumt ein wenig von der weiten Welt und macht sich auf ins Dithmarscher Hinterland. Fernweh und Landliebe am Kanal gleichermaßen.

An der Strecke queren kostenlose Fähren den Kanal. Wer mag, kann gleich hier zu Beginn mit der Fähre in den Brunsbütteler Süden übersetzen, um ein paar hundert Meter kanalaufwärts wieder zurückzukehren – die Route führt nun durchs Ländliche. Man kennt die Kanalbrücken vielleicht vom Auto aus oder der Bahn; von unten sind sie spektakulär, monumental und – vor allem die Eisenbahnbrücke bei Hochdonn – von einem einzigartigen ästhetischem Reiz. Es ist ein klarer Morgen, weiße Wölkchen segeln ins Dithmarscher Land und unter der Brücke an der B5 fliegt ein Falke.

Der Kanal ist ein moderner Verkehrsweg, das Land links und rechts davon oft Natur pur. Die Karten verzeichnen Routen, die abseits des Kanals zu kleinen, sehenswerten Städten wie Burg führen oder durch Naturschutzgebiete wie das um den Kudensee. Bald führt ein Weg fort vom Kanal, saftig-grüne Weiden und Wiesen liegen in der Niederung der Burger Au, darin der Kudensee, ein Paradies für die Vogelwelt. Der Wind lässt die Kronen der Erlen rauschen, dahinter glitzert – und schäumt in Böen – das Wasser dieses verschwiegenen Sees. Am Ufer wiegt sich Schilf, darin brüten Rohrweihe und Rohrammer, sogar ein Seeadler-Paar auf einem Baum. Ein Reiher steht stoisch am Ufer eines Grabens und ein Schwan gleitet vorüber – diese Gegend ist wichtiges Rast- und Überwinterungsgebiet für Zugvögel: Zwergschwäne im runden Tausend sowie Enten und Gänse aller Art. Flinke Kiebitze kann man beobachten und das melodischen Tirilieren der Feldlerche hören. Ein Fernglas gehört auf dieser Tour gewiss ins Gepäck.

Es ist stilles, schönes Radeln auf dem Plattenweg am Ufer. Kurz vor der Eisenbahnbrücke bei Hochdonn kreist am gegenüberliegenden Ufer ein Seeadler im Himmel. Nicht nur dies ist ein Grund für die Pause, die Poller sind ein schöner Picknick-Tisch. Hummeln summen, Löwenzahn setzt gelbe Akzente ins Grün, Gänse lärmen vorüber. Ist der Kanal streckenweise sonderbar leer (die Schiffe schleichen meist im Verband) und still, schwillt nun ein fernes Stampfen an. Eine Parade Frachter schiebt sich heran. Ihre Bugwellen zerreißen das stille Wasser und werfen die gespiegelten Wolkenbilder in Scherben. Die „Neckar Highway“, ein Autofrachter, gleitet vorüber, gefolgt von der „Ebba 2“, dann die „Tilda Kosan“, zuletzt die „Sulphur Genesis“ – Woher? Wohin? Was drin? Die Gedanken ziehen mit. Wellen schwappen sacht ans Ufer und der Kormoran bleibt sitzen, so als wäre nichts.

Wieder lohnt ein Abstecher – nun zum „Kerzenhof“ nach Schafstedt. Vor einiger Zeit übernahm Familie Bork dort einen Resthof. Mit einem guten Gespür für Gemütlichkeit und Nostalgie wandelte Dorte Bork den alten Kuhstall um in ein Café, das gewiss zu den schönsten in Schleswig-Holstein zählt. Das Team Bork hat ein gutes Händchen für Torten, Kuchen und Co. Candy und Klönschnack also im alten Bauernhof, Kaffeeklatsch und Kulturerlebnis. Man fühlt sich aufgehoben, wenn man die gastliche Stube betritt und beinah so, als ob es ein Kurzurlaub in die Vergangenheit wäre. Die Wohnzimmeratmosphäre mit ihren bunt zusammengewürfelten Tischen, Stühlen und Accessoires aus längst vergangenen, aber dennoch fühlbar nahen, Zeiten zaubert angenehme Nostalgie; das hier ist stimmig. Es ist romantisch; auch echt – viele Dinge, Deko-Geschirr oder alte Modemagazine aus den 50ern, haben Nachbarn auf dem Dachboden gefunden und vorbeigebracht. Die Torten sind ohnehin eine köstliche Verführung! Neben den kulinarischen Leckerbissen gibt es auch kulturelle – Konzerte zum Beispiel. Angeschlossen ist ein kleines Museum, das die Heimatkunde der Gegend liebevoll arrangiert wiederspiegelt. Der Kerzenhof, hier kann der Gast unter Anleitung von Dorte Bork auch Kerzen färben, ist ein authentischer Ort – zum Wohlfühlen. Und die Leute aus dem Dorf treffen sich hier auf einen Klönschnack. Und in die Etagèren greifen nicht nur Kinder; Süßes gibt´s auch für die Großen.

Der Uferweg ist eine gut zu befahrende, gefällige Strecke; grün und gemütlich. Hier riecht es nach wilden Rosen, dort nach Waldmeister und manchmal nach dem Rauch von Holzfeuer, bei den großen Silos der Genossenschaften, die wie Burgen am Ufer stehen, nach Getreide. Sogar eine kleine, verschwiegene Badestelle gibt es hinter Hochdonn – mit Sandstrand und Treppe in die Bucht am Kanal. Die Landschaft ändert sich im Verlauf des Kanals; bisher durch die Ebene der Marsch wird es hügelig; dies ist die Geest, das Rückgrat Schleswig-Holsteins.

Hinter der Straßenbrücke zwischen Albersdorf und Hademarschen lohnt ein Abstecher zum Steinzeitpark Dithmarschen (nahe Albersdorf). Der Weg führt in einen lichten Wald mit Eichen und Buchen in gefälliger, sanfter Hügellandschaft. In der malerischen Niederung des Flüsschens Gieselau mit den Erlen und Röhrichten leben Kröten und seltene Unken, Wasseramseln am Fluss. Wer Glück hat, sieht den Eisvogel gleich einem fliegenden Edelstein umherschwirren. Eine Landschaft, die bereits vor 6000 Jahren Heimat war, geheimnisvolle Steinzeitgräber zeugen von ihrer Anwesenheit und ihrem Totenkult.

Mitten im Wald steht eines dieser fast 50 Meter langen Gräber aus der Jungsteinzeit; Bernsteinschmuck und Steinwerkzeuge haben Forscher hier gefunden, solche Dolmen waren Kollektivgräber – Leichnam um Leichnam wurde hier bestattet. Heute rauscht der Wind in den Kronen der Eichen und ein Specht hämmert beharrlich, ferne Vogelrufe hallen durch den Wald und es sind nicht die frischen Böen allein, die ein wenig Gänsehaut ob dieser mystischen Atmosphäre schaffen. Stehen dann noch urzeitlich anmutende Konik-Pferde in der nebelverhangenen Aue der Gieselau, ist das Bild grauer Vorzeit perfekt.

Wie diese Menschen hier vor tausenden Jahren gelebt haben, ist im Steinzeitpark Dithmarschen rekonstruiert – ein ganzes Steinzeitdorf, das das Leben vor 5000 Jahren zeigt. Es gibt Aktionen zum Mitmachen: Heute werden Steinwerkzeuge aus Flint geschlagen. Schutzbrille und Handschuhe sind ein Muss, denn die Splitter sind schärfer als jedes Skalpell. Neben dem Feuerstein gibt es auch Tipps wie das geht („…nicht draufhauen, sondern abschlagen…“) mit der groben Vorarbeit und der folgenden Feinarbeit mit dem Geweih-Stück. Schaber und einfache Klingen sind nicht schwer; Faustkeile, Sicheln und perfekte Speerspitzen Meisterwerke.

Zwischen Schafstedt und Hohenhörn fließt der Mühlenbach, der Abend senkt sich langsam über seine Niederung; feuchte, saftige Wiesen, aus denen der Nebel steigt, ein Rehbock läuft über die Wiesen, Baumreihen begrenzen, darüber eine späte Sonne mit milchigem Licht, Blätter knistern verhalten im sachten Wind. Vollkommene Ruhe liegt über diesem Ort. Und hier ist endlich einer: Zwischen den Kiefern thront ein Storchennest, darin steht einer dieser schönen Vögel und scheint Eier im Nest zu wenden, schaut immer….ja, wohin? Vielleicht zum Partner, der hier irgendwo über die Wiesen stakst. Und spürt man da nicht wieder ein Schiff? Ein kurzer Weg nur zur Bank am nahen Kanal.

In Hohenhörn (nahe Schafstedt) steht das kleine, feine Gasthaus und Hotel „Kanal 33“ direkt am Ufer. Die kleine Fähre müht sich im Minutentakt über den Kanal, die Silos der Genossenschaft nebenan sehen in ihrem verwitterten Grau aus wie eine Burg aus dem Mittelalter. Vor den Gasthaus ist der Biergarten und auch hier gilt: Schiffegucken. Aus der alten Gastwirtschaft wurde ein Kleinod zum Essen und Übernachten. Die Zimmer sind modern und gemütlich, großzügig und licht. Mehr noch: „Wir haben aus alten Dalben des Nord-Ostsee-Kanals Betten, Schränke und Fensterbänke tischlern lassen. Auch der Fußboden wurde aus dem Douglasienholz der Dalben gefertigt“, erklärt Petra Lucht. Dalben sind die gewaltigen Holzpfosten, die im Wasser stehen und an denen Schiffe festgemacht werden können.

Radfahrer dürfte auch dieser Service interessieren: „Wir haben eine kleine Werkstatt und einen Schlauch-Automaten, nasse Sachen kommen in den Trockenraum und das E-Bike kann man hier aufladen. Nach Vorbestellung organisieren wir Ihnen auch Leihräder von unserem hiesigen Verleih“, sagt Petra Lucht. Und das Schönste, im stimmigen Ambiente der Zimmer, ist der Blick aus dem Fenster – ist Kanal-Kino vom Feinsten: das Hin und Her der kleinen Fähre inklusive abendlichem Schaftransport mit Traktor und Anhänger, der Blick in die grüne Weite Westholsteins und immer wieder Schiffe, Schiffe, Schiffe. Ihre Lichter sind an, das sind wunderschöne Motive vor dem dunkler werdenden Blau der beginnenden Nacht. Schleichen sich fort; nach Hongkong vielleicht oder nach Shanghai. Muhen da irgendwo nicht Kühe? Fernweh beim Schiffegucken und Heimatliebe auf´m Land; und das auf einen Blick – das geht wohl nur hier am Kanal. Wo die Schiffe über´s Land fahren.

Termin-Tipps 2017

  • Lichterfest NOK Romantika, 02. September 2017
  • Sonderausstellung Weltgarten im Steinzeitpark Dithmarschen noch bis Oktober 2017
  • Die Termine der Kreuzfahrtpassagen 2017 im Nord-Ostee-Kanal finden sich unter www.schleusenmeile-brunsbuettel.de

Weitere Informationen:

www.echt-dithmarschen.de
Quelle: Dithmarschen Tourismus e.V. 

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Seeräuber-Geschichten und Politmorde an der Nordsee

Grabstein auf Föhr. Bild  (c) www.nordseetourismus.de

Grabstein auf Föhr. Bild (c) www.nordseetourismus.de

Herbststürme jagten über die Inseln und die Westküste. Endlos und unergründlich verliert sich die See nach dem Sturm in Gleichmut bis zum Horizont. Dort hinaus fuhren sie früher, um ihr Glück zu suchen – manche kamen wieder und zu Reichtum, andere starben im ewigen Eis oder an tropischem Fieber. Um die Türme der alten Kirchen auf Amrum und auf Föhr heult der Wind, zerrt an den kahlen Kronen der Kastanien auf dem Friedhof von Lunden in Dithmarschen. Novemberwetter; und Zeit zum Erzählen – auf manchen Friedhöfen stehen Steine, die Geschichten erzählen und auch von denen, die einst Geschichte machten. Eine besondere Entdeckungsreise. Von Seeräuber-Geschichten in 1001 Nacht und Politmorden in der Provinz.

Kapitänsgeschichten auf dem Friedhof von Nebel auf Amrum

Der Friedhof der St. Clemens Kirche in Nebel auf Amrum ist einer der außergewöhnlichsten in Deutschland – hier stehen mehr als 150 Grabsteine, die Geschichten erzählen. Lebensgeschichten. Und die wohl verrückteste dieses steinernen Geschichtsbuches ist die von Hark Olufs. Und hier steht sein Stein: Mit eingemeißelter Krone und Schwert, mit Köcher, Pfeil und Bogen, mit Trompeten und ganzem Lebenslauf: „(…) bald darauf in sein jungen Jahren von den türkischen Seeräubern zu Algier ist er anno 1724 (…) gefangen genommen worden. In solcher Gefangenschaft aber hat er dem türkischen Bey zu Constantine (…) elf und ein viertel Jahr gedient. Bis ihm endlich dieser Bey anno 1735, den 31. Oktober, aus Gewogenheit zu ihm seine Freiheit geschenket, da er denn das folgende Jahr darauf anno 1736, den 25. April glücklich wieder (…) auf seinem Vaterland angelanget ist. Und sich also anno 1737 in den Stande der heiligen Ehe begeben mit Antje Harken.(…)“
Geboren wurde Hark Olufs im Sommer 1708 in Süddorf. 1721 wurde er Matrose, drei Jahre später im Ärmelkanal von Seeräubern gefangen genommen und mitsamt Schiff und Mannschaft nach Algier verschleppt. Hark Olufs wurde auf dem Markt von Algier verkauft und landete beim Bey von Constantine, dem Statthalter dieser damaligen osmanischen Provinz. Dort bewährte sich der junge Mann und stieg zum Oberbefehlshaber einer Militäreinheit auf. Olufs fügte sich und konvertierte sogar zum Islam. 1735 wurde Hark Olufs von seinem Bey, wohl auch als Dank für seine militärischen Verdienste, freigelassen und kehrte ein Jahr später nach Amrum zurück. Dort begegnete ihm, dem Wohlhabenden und Muslim, nicht nur Freude, sondern auch Misstrauen. Erst nach Rekonvertierung zum Christentum, Konfirmation und Heirat kehrte er endgültig in die Gemeinschaft der Insulaner zurück. Olufs starb im Alter von nur 46 Jahren.

Wer sich, wie die Kapitäne und deren Familien, diese Grabsteine (bis zwei Meter hoch und oft eine Tonne schwer) leisten konnte, hatte etwas aus seinem Leben zu berichten. Und war wohlhabend, denn: „Das Material wurde aus dem Weserbergland herbeigeschafft und die bildlichen Darstellungen sind manchmal derart aufwendig und detailreich, dass die Anfertigung ein Vermögen gekostet haben muss“, so Inselpastor Georg Hildebrandt. Angefertigt wurden diese zumeist zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert.

Ab dem Jahr 2009 wurden die Steine restauriert. „Einige Grabsteine standen jahrzehntelang einfach an die Friedhofsmauer gelehnt, andere waren gar zerbrochen. Nun ist der größte Teil aufgefrischt und steht nach Familien sortiert wie eine Allee auf dem Kirchhof von St. Clemens in Nebel. Wer den Friedhof betritt, findet sie auf der linken Seite“, erklärt Georg Hildebrandt. Man kann hier viel Zeit verbringen, und sich die Geschichten auf den restaurierten Steinen anschauen und sie auch viel besser lesen: „Die Inschriften sind nach der Restaurierung wesentlich plastischer – und manche Grabsteine sind mit einem QR-Code versehen, sodass Sie den Text über Ihr Mobiltelefon lesen können“, sagt Georg Hildebrandt.

Infos zu Amrum
www.amrum.de/aktuelles/veranstaltungen
www.amrum-kirche.de (mit Erklärung der Steine)
• Tel. Kirchenbüro St. Clemens / Nebel 0 46 82 – 2389

Föhr und die Geschichte vom glücklichen Matthias

Das Gräberfeld auf dem Friedhof von Süderende auf Föhr. Der Wind heult um den Turm von St. Laurentii, zerrt an den Zweigen und schiebt dunkle Wolken vorüber. Novemberwetter und auf dem Feld endloser Ruhe liegen auch hier diejenigen begraben, die etwas zu erzählen haben – mag das Leben endlich sein, ihre Geschichten sind unsterblich. Zumindest so lange, wie der Sandstein hält, auf dem sie geschrieben stehen. Bis zu zwei Meter hoch und tonnenschwer zeugen auch auf Föhr Grabplatten vom Leben und Wirken berühmter und weniger berühmter Bürger. „…und ein berühmter Mann war der glückliche Matthias“, sagt Ralf Brodersen, der Mann aus Süderende, der die Geschichten hier kennt wie kaum ein zweiter, „kommen Sie mal mit, ich zeig´ Ihnen den Stein.“ Und erzählt dann auch gleich vom glücklichen Matthias. Der wurde 1632 auf Föhr geboren.
Wie viele andere Männer von den Inseln und Halligen suchte auch Matthias Petersen sein Glück auf See, denn an Land gab es kaum Möglichkeiten für ein Auskommen. „In Süderende hatte Richardus Petri, der Pastor von St. Laurentii, eine Navigationsschule eingerichtet; hier erhielt Matthias Petersen seine seemännische Ausbildung. Bereits als 20jähriger hatte er das Kommando über ein Walfangschiff”, erzählt Ralf Brodersen. Die Schiffe fuhren unter holländischer Flagge in das Nordmeer, hinauf bis Grönland und Spitzbergen. Es war eine meist riskante Reise in dieser wilden Welt – um dort Wale zu jagen, begehrt war seinerzeit der Tran als Lampenöl. Man konnte sein Glück machen, doch mancher kehrte nicht zurück. Wie viele Föhrer Familien blickten im Herbst bang auf die See und erwarteten die Rückkehr ihrer Männer und Väter? Petersens hatten mit Matthias gutes Glück:

„Matthias fuhr zu einer Zeit, als die Wale noch so zahlreich waren, dass man sie einfach in die Buchten treiben konnte, um sie dort zu erlegen. Die gefährliche Jagd auf hoher See setzte erst später ein. Innerhalb von 50 Jahren erbeuteten die Schiffe unter seinem Kommando 373 Wale – damit gehört er zu den erfolgreichsten Walfängern der Westküste“, berichtet Brodersen weiter. Der „glückliche Matthias“ kam also zu großem Reichtum, auf seiner letzten Fahrt geriet er in die Hände französischer Freibeuter und musste sich und seine Mannschaft freikaufen – das Geld dafür hatte er.
Und auch hierfür: „Kommen Sie mal mit in die Kirche“, sagt Brodersen. Die Kirche ist uralt und wunderschön, eine umarmende, friedvolle Stimmung erfasst den Gast. Zwei gewaltige Kronleuchter aus Messing hängen an der Decke. „Die haben Matthias und sein Sohn gestiftet“, sagt Brodersen, „wir benutzen sie noch heute.“ Und weil Matthias viel Geld hatte, war er ursprünglich auch vor dem Altar beerdigt. Sehr viel der Ehre, die Kirche sollte dafür auch sehr viele Goldtaler von den Erben bekommen. Bekam sie aber nicht, also wurde Matthias kurzerhand nach draußen umgebettet – dorthin, wo heute die Grabplatte steht. Und vom „Glücklichen“ berichtet, der „…mit Zustimmung aller den Namen `Der Glückliche´ annahm.“ So steht es geschrieben auf Stein in Süderende auf Föhr.

Infos zu Föhr
www.foehr.de/veranstaltungskalender
www.st-laurentii.de (mit Erklärung ausgewählter Steine) Kirchenbüro 0 46 83 – 350
• Der Friedhof des „Friesendoms“ St. Johannis in Nieblum hat mit 265 Grabplatten- und Steinen den größten Bestand an historischen Grabsteinen nordfriesischer Friedhöfe: www.friesendom.de und Kirchenbüro 0 46 81 – 44 61
• Auch auf dem Friedhof von St. Nicolai in Boldixum stehen „erzählende“ Grabsteine. www.kirche-st-nicolai-foehr.de

Die Geschichte eines Politmordes in Dithmarschen

Die Kronen der kahlen Kastanien rauschen im Wind nahe von St. Laurentius in Lunden / Dithmarschen. Im Schatten von Kirchturm und Kastanie stehen und liegen Grabplatten, grau vom Wetter der Jahrhunderte und dennoch sind auf einigen Verzierungen zu erkennen, laden ein zur Geschichtsstunde. Erzählen die Gräber auf Föhr und Amrum von den Geschichten der Seefahrer, so berichten diese Steine von Männern, die Geschichte schrieben: Dithmarschen war im ausgehenden Mittelalter de facto ein eigenständiger Staat mit einer Regierung bestehend aus 48 mächtigen Männern, vornehmlich reichen Bauern; dem „Rat der 48“ – den „Regenten“. Anführer von Familiensippen, den „Geschlechtern“.

Auf dem Geschlechterfriedhof in Lunden, der in seiner Anlage noch weitestgehend so erhalten geblieben ist, wie er angelegt wurde, sind einige dieser Familien beerdigt. Der Weg über den Friedhof führt auch zu Hügeln; darunter sind Grabkeller. 13 dieser Grüfte sind bis heute erhalten. Eine enge Treppe führt hinab, Hans-Jürgen Löbkens hat den Schlüssel und öffnet die Tür zu Gruft. Einer dieser schaurigen Keller ist öffentlich zugänglich.
Es riecht feucht und modrig, nach nasser Erde. Die Grabkammer besteht aus zwei Räumen, die Nebenkammer ist abgesperrt mit einem Gitter. Weißgetüncht war die Gruft einst und nun blättert es überall ab, Algen wachsen an den Wänden. Die kleine Kammer ist von schwachem gelbem Licht beleuchtet, auf einem Gestell steht ein Sarg. Natürlich liegt dort niemand drin, hier wird demonstriert, wie einstmals – zuletzt in den 1950er Jahren – bestattet wurde. „In den Kellern wurden die Särge entweder auf Ziegelreihen oder auf eiserne Gestelle gesetzt“, erklärt Löbkens. Die Grüfte wurden aus Ziegeln errichtet und haben in der Regel über zwei Luftschächte.
Die Grabplatten und Stelen wiegen bis zu zwei Tonnen. Geöffnet und verschlossen wurden die Platten bei Beerdigungen mit Pferden. Fast allen Steinen sind die vier Symbole in den Ecken gemein: Engel und Löwe, Stier und Adler – „…sie stehen für die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Die Auferstehung war das Wichtigste, so steht im Zentrum stets ein Engel mit den Familienwappen in den Händen“, so Löbkens.
Auch in Lunden erzählen die Steine ganze Geschichten. Eine Besondere ist die des Regenten Peter Swyn. Der „48er“ setzte sich für die Abkehr von der katholischen Kirche hin zum neuen Glauben, der Reformation, ein. Die sich daraus ergebenen notwendigen Änderungen im Rechtswesen (Abschaffung des Fehderechtes und Reformierung der Eideshilfe) versuchte er mit umzusetzen, so Löbkens.
„Andere Geschlechter, vornehmlich die Russeboligmannen, befürchteten durch die Auflösung der Geschlechterbundbriefe erheblichen Machtverlust. Daraufhin haben Auftragsmörder Peter Swyn bei einem Alleinausritt – zur Kontrolle der Arbeit der Tagelöhner auf seinen Ländereien im Moor – aufgelauert, ihn vom Pferd gerissen und erschlagen. Die Mörder sind später gefasst und ihrer gerechten Strafe zugeführt worden“, sagt Löbkens. Auf dem Gedenkstein oberhalb seines Grabes ist die Szene seiner Ermordung dargestellt. Auf der Vorderseite, geschrieben in gotischen Minuskeln, steht: „Im Jahre des Herrn 1537 am Abend Marien Himmelfahrt ist hier erbarmlich zu Tode gebrocht der hochlöbliche Peter Swyn alt gewesen 57 Jahr“.
Auf der Rückseite: „Auch wahr ist verräterisch ermordet der ehrbare Peter Swyn dem Gott der Herr gnädig will sein. Er ist diesem Lande so ratsam Treu gewesen also bei vielen Herren, Städten und Landen auserlesen die Freiheit dieses Landes so frei zu bewahren, dabei Leib und Leben nicht geschont. Der ein guter Dithmarscher ist der beruft sich dieses Mordes.- Das ist gewiß“.
Der Wind jagt durch die Kronen und ein Rauschen weht über’s Land, die fahle Herbstsonne lässt die Schatten auf diesem Friedhof spielen. Dort, wo die Toten ruhen, ihre Geschichten aber in solchen Augenblicken seltsam lebendig sind und sich eine Gruft auch von Innen öffnen lässt. Und wer mag nur wegen des Novemberwetters eine Gänsehaut kriegen?
Infos Geschlechetrfreidhof Lunden
Die Gruft, sowie die Kirche ist täglich von 9:00 bis 17:00 in der Zeit von „Ostern“ bis „Ernte Dank“ geöffnet. Der Geschlechterfriedhof ist ganzjährig geöffnet. Durch sein Wegesystem wird der Besucher von Grabstelle zu Grabstelle geführt. Durch kleine Infotafeln an den wichtigsten Stellen wird der Besucher informiert. Zusätzlich steht auf dem Geschlechterfriedhof noch ein Info-Pavillion mit vielen interessanten und spannenden Information zum Geschlechterfriedhof und der Bauernrepublik Dithmarschen. Mögliche Führungen können über das Kirchenbüro 04882-360 erfragt werden. www.kirchengemeinde-lunden.de

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Quelle: Nordsee-Tourismus-Service GmbH